德语助手
2023-11-21
Wir sind in Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen, Anfang der 90er Jahre.
Es ist mein erstes Jahr im Gymnasium, ich bin elf.
Gegen Ende des Schuljahres, ein paar Wochen vor den Sommerferien,
fängt mich meine Klassenkameradin Vanessa im Flur ab.
Sie ist völlig aufgelöst und fassungslos.
Ich habe einen blauen Brief bekommen, gesteht sie mir fast unter Tränen.
Auch wenn ich in diesem Moment noch nicht wusste, was genau sich hinter diesem Brief verbarg,
so ahnte ich instinktiv, dass es sich um etwas Schreckliches handeln müsste.
Aber was?
Ich musste mich bis zum Ende der nächsten Stunde gedulden,
bis Vanessa endlich ihren ganzen Mut zusammennahm und unseren Klassenlehrer fragte, was ihr denn blühte.
Er erklärte es uns.
Im schulischen Rahmen bezeichnet der blaue Brief eine schriftliche Mitteilung,
die den Eltern eines versetzungsgefährdeten Schülers per Post zugesandt wird.
Das heißt im Klartext, dass der betreffende Schüler in einem oder mehreren Schulfächern so schlechte Noten hat,
dass er riskiert, sitzen zu bleiben, wenn er sich nicht mehr anstrengt.
Der blaue Brief, eigentlich ist es der Umschlag, der blau ist.
Für das Schreiben selbst verwendet man meist weißes Papier.
Der blaue Brief wird normalerweise zu Beginn des zweiten Halbjahres abgeschickt.
In Deutschland besteht das Schuljahr ja aus zweieinhalb Jahren und nicht wie in Frankreich aus drei Trimestern.
Also Anfang Februar oder spätestens zwei Monate vor Schuljahresende,
damit der Schüler noch eine Chance hat, sich zu verbessern.
Natürlich können die Versandfristen voneinander abweichen.
Wie könnte es auch anders sein?
Denn in Deutschland erlässt ja jedes Bundesland seine eigene Schulordnung.
Wie dem auch sei, der blaue Brief muss von den Eltern unterschrieben und wieder in die Schule zurückgebracht werden.
Aber warum eigentlich blau?
Wie es scheint, kommt der Begriff blauer Brief aus dem 19. Jahrhundert.
Damals strebte man noch nicht wie heute danach, so früh wie möglich in Rente zu gehen,
vor allem dann nicht, wenn man ein stolzer Offizier der preußischen Armee war.
Den Offizieren graute es davor, am Ende ihrer Karriere den blauen Umschlag vom Führungsstab zu bekommen,
mit einem Schreiben, in dem ihnen nahegelegt wurde, ihren Abschied zu nehmen.
Diese Anordnungen wurden in Umschlägen versandt, die blickdicht sein mussten.
Das Papier für diese Umschläge wurde damals aus den Lumpen abgetragener Uniformen der preußischen Armee gewonnen und die waren eben blau.
Preußisch-blau, wie man heute noch sagt.
Wenn sie die Farbe des Briefes sahen, wussten die Offiziere also sofort, dass das nichts Gutes verhieß.
Der blaue Brief ist bis heute Sinnbild für eine schlechte Nachricht geblieben,
denn neben der schulischen Vorwarnung bezeichnet er manchmal auch das Kündigungsschreiben.
Und im Alltag wird er gerne in humorvolle Drohungen eingeflochten.
Ich warne dich, wenn du so weitermachst, kriegst du einen blauen Brief.
Heutzutage ist der Brief nicht mehr blau.
Schade.
Zu meiner Zeit konnte man ihn dank seiner Farbe nämlich einwandfrei identifizieren und vor den Eltern verstecken,
auch wenn man damit das böse Ende nur aufschob.
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