德语助手
2023-08-02
Ich bin der Hauptbahnhof der Probleme.
Auf Gleis 1 fährt ein der Tod, bitte nicht einsteigen.
Vorsicht am Gleis 2, es fährt durch die Liebe, die hier nicht hält.
In Kürze fährt auf Gleis 3 der verspätete Hass ein, er endet hier.
Bitte Vorsicht bei der Einfahrt des Hasses.
Martin Walser war ein Schwergewicht der deutschen Literatur.
Er schrieb an die 30 Romane, Novellen und fast ebenso viele Theaterstücke.
Jeden Tag machte er Notizen in seine Tagebücher,
Walsers Arbeitsjournale und ganz persönliche Chronik der Ereignisse über sechs Jahrzehnte, das Reservoir für seine literarischen Werke.
Ich reagiere auf alles schriftlich, vor allem auf alles Unangenehme.
Und das Unangenehme hört ja nicht auf.
Und das habe ich gemerkt, dass ich alles, was schlimm ist, was ich nicht ertragen kann, was mir weh tut, was mir fehlt, dass ich das am besten doch überlebe, wenn ich dagegen schreibe.
Ich schreibe nicht immer das auf, was passiert, sondern ich schreibe das, was passiert, so auf, dass ich es ertragen kann.
Walsers literarische Helden sind Antihelden.
Die kleinen, normalen Menschen mit ihren Alltagssorgen, Abgründen und Sehnsüchten.
Anselm Christlein macht sich Gedanken über das Geldverdienen.
Wenn man nicht Geld verdienen müsste, gäbe man keinen Laut von sich.
Still ruhte die Welt uns sanft und vor allem...jeder in sich, er wäre nicht unterworfen.
Frau und Mann würden einander nicht so abschätzend ansehen und so weiter.
Also ich zum Beispiel möchte einmal nicht mehr Geld verdienen müssen.
Walser stammte selbst aus kleinen Verhältnissen.
Geboren 1927 in Wasserburg am Bodensee.
Seine Eltern betrieben einen Gasthof.
Der kleine Martin musste im Familienbetrieb mithelfen.
Die Liebe zu den Wörtern erwachte schon früh, wie er auch in seinem Roman "Ein springender Brunnen" beschreibt.
Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, Gedichte zu schreiben.
Natürlich, ein jüngster Mensch schreibt nur Gedichte, ist klar,
das ist ja auch das Schönste, bis er merkt, dass er kein Lyriker ist.
Aber manche merken das nie und schreiben immer weiter noch Gedichte.
1943 wurde Walser Flakhelfer, dann Soldat.
Der Unsinn des Krieges, die deutsche Schuld, wurden später sein Thema.
Nach dem Krieg studierte er Literaturwissenschaft und promovierte über Kafka.
Parallel dazu arbeitete Walser in Stuttgart beim Süddeutschen Rundfunk als Reporter, Regisseur und Hörspielautor.
Seine Hörspiele waren kritische Bestandsaufnahmen.
Für Walser war der Mensch in der frühen Bundesrepublik nicht freier geworden.
Damit lag er ganz auf der Wellenlänge des inzwischen tonangebenden Schriftstellerclubs der Gruppe 47.
Die prämierte eine seiner ersten Geschichten.
Auf einen Schlag galt Walser als literarische Hoffnung.
Für sein Romandebüt "Ehen in Philippsburg" erhielt er 1957 den Hermann-Hesse-Preis.
Sein Lebensthema?
Betrug und Heuchelei in Familie und Beruf.
Eine Zustandsbeschreibung der bundesdeutschen Mittelschicht.
Ich möchte mich zuerst bedanken bei all denen, die schuld daran sind, dass mir dieser Preis verliehen wurde.
Man sah ihn von nun an gerne als Gesellschaftskritiker.
Solche Etikettierungen mochte er sein Leben lang nicht.
"Hundemarken" nannte er sie.
Das erste Buch war dieses, "Ein Flugzeug über dem Haus" im Jahre 1955, eine Sammlung von neun Geschichten.
Das zweite war dann der Roman "Ehen in Philippsburg".
Und das dritte, "Halbzeit", wieder ein Roman.
Und ich glaube, genauso subtil wie die Bezeichnung "gesellschaftskritisch" wäre,
wenn man sagen würde, dieser Autor hat zuerst ein dünnes, dann ein mittleres und dann ein dickeres Buch geschrieben.
Nichts kann mein Vertrauen zu Martin Walser schüttern, nicht einmal sein Roman "Das Einhorn".
Walser ist ein Schriftsteller mit großem Talent, leider kann er es immer noch nicht bewirtschaften.
Sein Verleger Siegfried Unseld sah das anders.
Unsels Suhrkamp-Verlag war Walsers literarische Heimat.
Als Lektor, Berater und Freund Unselds hat er den Suhrkamp-Verlag maßgeblich mitgeprägt.
Als Schriftsteller wurde Walser bald zu einer Art Ratgeber der Nation.
Da kommen Fragen, über das Manipulieren von Meinungen,
über die Bedrohung der Ehe, über die Wiedervereinigung,
über die intellektuelle Krise, ob man in einer Partei sein soll oder nicht,
über den Paragrafen 218, 175.
Sodass man schon fast froh ist, wenn eine so einfache Frage kommt wie "Reparieren Sie in Ihrem Haushalt Ja oder Nein?"
Da kann man dann wenigstens mit gutem Gewissen nein sagen.
Seit 1957 lebte Walser wieder am Bodensee mit Ehefrau Käthe und seinen vier Töchtern.
Die Verwurzelung in der Heimat stiftete seine Identität.
Wie er, sind auch viele seiner Romanfiguren am Bodensee zu Hause.
Im Theater äußerte sich Walser vor allem politisch.
Anfang der 1960er Jahre schrieb er gleich drei Stücke zur nicht bewältigten NS-Vergangenheit.
Im "Schwarzen Schwan" geht es um zwei ehemalige SS-Ärzte.
Gotthein hat vier Jahre Zuchthaus verbüßt.
Libéré kam ohne Strafe davon und leidet darunter.
(Ich) weiß gar nicht, was Sie immer noch wollen von mir.
Gotthein, ich will sagen, hätte man einen umgebracht.
Es ist möglich, dass einem der nachginge mit einem ganz bestimmten Gesicht?
Die Augen vielleicht?
Wahrscheinlich die Augen.
Bei uns mischt es sich eben, das stimmt schon.
Wenn ich schon mal träume, dann sind es Zahlen.
Diese zwei Figuren, der eine, der sich willig der Justizerledigung stellt,
und der andere, der das alles selber mit seinem Gewissen abmachen will,
die Sympathie, also meine Sympathie, die Sympathie des Zuschauers möglicherweise, ist auf der Seite dessen, der das selber mit sich abmachen will.
Auch was den Vietnamkrieg anging, sah Walser die Deutschen in der Schuld.
Er protestierte zusammen mit den Studenten und appellierte an das Gewissen.
Für ihn eine zentrale Kategorie und Prüfinstanz.
Die NS-Vergangenheit musste die Deutschen zu einem dauerhaften Pazifismus ermahnen.
Die Unterstützung der USA durch deutsche Politiker hielt er für verlogen.
Ich jedenfalls glaube keinem ein Wort,der nach rückwärts bedauert und nach vorne die nächsten Tötungen gut heißt.
Ich fürchte, wer bei uns zur Zeit kein schlechtes Gewissen hat, der hat keins.
Die Gewissensfrage zog sich durch sein ganzes Leben.
Gegen die Notstandsgesetze oder für die Gründung einer Künstlergewerkschaft,
Walser engagierte sich an vielen politischen Fronten, mit einer klaren Haltung.
Er war ein Linker, sympathisierte sogar öffentlich mit der DKP und war Beschimpfungen von rechts ausgesetzt.
Man hielt ihn für einen Kommunisten.
Literarisch schrieb Walser Mitte der 70er Jahre seine Kleinbürgersaga fort.
Seine Figuren sind Handelsvertreter, Journalisten oder Lehrer.
Sie schlagen sich mit Sinnkrisen und Identitätsproblemen herum.
Mangelndes Selbstbewusstsein, für Walsers Helden bittere Mitgift ihrer kleinen Herkunft.
Die stille Unterdrückung, die Abhängigkeit und Unfreiheit in einer vermeintlich freien Gesellschaft,
das waren Walsers zentrale Themen in der Novelle "Ein fliehendes Pferd", seinem erfolgreichsten Buch.
1981 erhielt er den Georg Büchner Preis, den angesehensten Literaturpreis der Bundesrepublik.
Den Georg Büchner Preis 1981, Martin Walser.
Um die 150 Tage im Jahr war Walser auf Lesereise.
Er pflegte den Kontakt zu seinem Publikum, war ein leidenschaftlicher Vorleser.
Auf der Heimfahrt war mir eingefallen, Hartmut Hoensbroichs Biografie.
Der hatte einmal einem Minister für irgendeine feierliche Einweihung eine Rede geschrieben,
in der in einem Satz zweimal das Wort "Plastizität" und dreimal das Wort "Authentizität" vorkamen.
Dann noch im selben Satz das Wort "Identitätsdiffusion".
Als kritischer Beobachter seiner Zeit schmerzte ihm die Teilung Deutschlands besonders.
Für Walser ein unhaltbarer Zustand.
Die Linken nahmen ihm das übel.
Im Februar 1989 sagte er:
Was mir nicht möglich ist, ist jeder Versuch, diese Teilung für vernünftig zu erklären.
Alle Mühe des Gefühls und der Vernunft und des Geistes aus dieser Teilung etwas zu machen, was vernünftig sei, also akzeptabel,
nachdem es doch auf eine so grauenhafte Weise in jeder Hinsicht zustande gekommen ist.
Da komme ich mir komisch vor, dass ich jetzt angegriffen werde,
weil ich eine Absurdität, und das ist diese Teilung, nicht begreife.
Die Mauer fiel noch im selben Jahr.
Die nationale Identität der Deutschen blieb weiterhin Walsers Thema.
Deshalb wurde sogar in die rechte Ecke gerückt, als deutschnationaler stigmatisiert.
1998 erhielt Walser den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Seine Dankesrede geriet ihm zur Provokation.
Sein Thema, ein schwieriges, erinnern an den Holocaust.
Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden,
jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.
Walsers alte Überzeugung, die ganz persönliche Vergangenheitsbewältigung hat jeder nur mit seinem Gewissen abzumachen.
Ein gutes Gewissen ist keins, und mit seinem Gewissen ist jeder allein.
Öffentliche Gewissensakte sind deshalb in der Gefahr, symbolisch zu werden.
Und nichts ist dem Gewissen fremder als Symbolik, wie gut sie auch gemeint sei.
Wollte Walser mit seiner Paulskirchenrede den Schlussstrich?
Wochenlang wurde darüber gestritten.
Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, beschuldigte Walser als geistigen Brandstifter.
Herr Walser hat mir erklärt, in einem längeren Gespräch, wie er es gemeint hat.
Das hat dazu geführt, dass ich diesen Begriff "geistige Brandstiftung" nicht aufrechterhalte.
Trotz eines versöhnlichen Endes zu Lesungen konnte Walser eine Zeit lang nur mit Polizeischutz und durch den Hintereingang.
Neue Feinde hatte er jetzt.
Das war aber sehr schön.
Die Wortwahl, die kennen wir.
Und noch immer einen sehr alten.
Er kann viel, dieser Martin Walser.
Erzählen kann er ums Verrecken nicht.
Er weiß überhaupt nicht, was Erzählen ist.
Im Frühjahr 2002, Walsers Antwort.
In seinem Schlüsselroman "Tod eines Kritikers" verschwindet ein jüdischer Literaturkritiker auf mysteriöse Weise.
Gemeint war Marcel Reich-Ranicki.
Das Buch wurde ein Skandal, noch vor seiner Veröffentlichung.
Ein Medienspektakel und für viele die Bestätigung.
Walser bediene antisemitische Klischees.
Marcel Reich-Ranicki forderte den Suhrkamp Verlag auf, Walsers Buch nicht zu bringen.
Das ist nur jetzt, weil einmal einer zurückgeschrieben hat.
Das ist noch nicht in dieser Gründlichkeit passiert.
Das kann er nicht schlucken.
Im gleichen Jahr starb Siegfried Unseld, Walsers Verleger und Freund.
Dass die neue Verlagsleitung den Roman "Tod eines Kritikers" nur halbherzig herausbrachte, verzieh Walser nicht.
Er nahm seinen Hut.
Nach fast 50 Jahren im Suhrkamp Verlag fand er bei Rowoldt eine neue literarische Heimat.
Hier erschienen seine Tagebücher, die auch Walsers Kränkung durch Marcel Reich-Ranicki noch einmal belegen.
Martin Walser legte auch in seinem Spätwerk wie gewohnt zahlreiche Romane vor, darunter "Ein liebender Mann".
Er erzählt von dem alten Goethe und seiner unmöglichen Liebe zu einer 19-Jährigen.
Ich bin wirklich zu einem Goethe-Verehrer geworden.
Ich hatte auch schon andere Phasen ihm gegenüber, als ich noch ein bisschen bornierter war, und das und das und das.
Aber jetzt, als ich dieses Buch geschrieben habe,
da habe ich die Einbildung, es habe noch nie ein Mensch Goethe so sehr geliebt oder verehrt, wie ich ihn verehre und liebe.
Und noch ein Dichter begeisterte ihn im Alter: Sholem Abramowitsch.
Mit ihm entdeckte er die jüdischen Lebenswelten und griff noch einmal sein Thema "Die deutsche Schuld" auf.
Eine Klarstellung mit Ende 80.
Mir ist im Laufe der Jahrzehnte vom Auschwitz-Prozess bis heute immer deutlicher geworden, dass wir, die Deutschen, die Schuldner der Juden bleiben.
Bedingungslos, also absolut.
Martin Walser hinterlässt ein gewaltiges Werk.
Eines seiner letzten Bücher hieß "Ein sterbender Mann".
Er war so produktiv wie kaum ein anderer deutscher Schriftsteller und er war ein Unabhängiger, der sich gegen jede geistige Autorität stellte.
Seine kritische Gegenstimme wird von nun an fehlen in Deutschland.
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