德语助手
2018-11-12
Moment. Jetzt ist der Lippenstift kaputt, aber ok. Hallo. Ich bin Leonie. Ich bin 23 Jahre alt. Ich bin Studentin. Und ich wohne in . . .
In unserer Gesellschaft ist es üblich, dass wir uns anhand bestimmter Faktoren vorstellen, wenn wir uns kennen lernen. Hallo, ich bin , und. Früher gab es einfach den einen Ort, den man genannt hat. Eben den Ort, an dem man geboren ist, an dem man lebt und arbeitet. Denken Sie mal kurz an die Orte, die in Ihrem Leben eine Rolle spielen. Wie stellen Sie sich vor? Gibt es den einen, einzelnen Ort, über den Sie sich definieren und über den Ihr Gegenüber Sie einordnen kann?
Ich sehe schon ein Kopfschütteln. Bei mir auch nicht. Das hier ist mein Mietvertrag. Ich habe am 1. Mai, wie Aljosha schon angekündigt hat, meine Wohnung in Stuttgart gekündigt, und habe seitdem diese BahnCard 100 anstelle eines eigenen Wohnraumes. Mit dieser Karte kann ich ein Jahr lang in jeden Zug in Deutschland steigen, ohne ein Ticket dafür kaufen zu müssen. Denn ich habe schon eins.
Mein Alltag sieht zurzeit so aus: Ich studiere Medienwissenschaft und Soziologie in Tübingen. Vorher habe ich in Stuttgart gewohnt, da habe ich Familie und Freunde. Mein Freund wohnt hier in Köln, meine Oma wohnt in meiner Heimatstadt Bielefeld, und meine Mutter ist vor mehreren Jahren nach Berlin gezogen. Seit dem 1. Mai bin ich konstant zwischen diesen Orten unterwegs, mit dem Zug. Ich habe ja kein eignen Wohnraum mehr. Übernachten tue ich normalerweise bei Freunden und Familie. Das ist im Zug ein bisschen zu unsicher und zu unbequem. Ansonsten mache ich aber alles das, was ich vorher in meiner Wohnung gemacht habe, jetzt im Zug. Also ich schreibe Hausarbeiten, ich bereite Referate vor, ich schreibe Artikel für meinen Blog, Ich schaue aus dem Fenster, und wenn ich alleine bin, singe ich auch schon mal.
Die Idee ist entstanden, als ich einen Streit mit meiner Vermieterin hatte, und dort nicht mehr wohnen wollte. Gleichzeitig fing meine Beziehung hier in Köln an. Und ich dachte mir: Okay, meine Leute sind sowieso schon überall über Deutschland verstreut, und jetzt habe ich auch eine Beziehung in Köln. Ich bin sowieso nie in meiner Wohnung, warum brauche ich dann eine. Ich habe festgestellt, ich brauche keine.
Das hier sind 2 Fotos; die einzigen Fotos, die ich heute mitgebracht habe. Ich mache sehr viel im Zug und unterwegs. Normalerweise dusche ich bei den Leuten, die mir Obdach geben. Im Hochsommer habe ich mir schon die Haare im Zug gewaschen. Das funktioniert ganz gut. Falls Sie sich gefragt haben, ob man sich eigentlich auch eine Pizza ans Gleis liefern lassen kann. Ja, das geht auch. Man muss das nur richtig timen, damit die Pizza dann nicht kalt ist, wenn man ankommt.
Vielleicht denken Sie sich: Okay, das ist jetzt also irgendwie so eine Dauerpendlerin. Das sind Millionen andere auch. Stimmt, und genau deswegen, und genau darüber möchte ich heute reden. Es geht hier heute um das "Abenteuer Identitäten". Denken Sie mal kurz an die Orte, die in Ihrem Leben eine Rolle spielen.
Ist Ihr Geburtsort auch der Ort, an dem Sie aufgewachsen sind? Ist das auch der Ort, an dem Sie ausgebildet wurden oder studiert haben? Ist der Ort wiederum der Ort, an dem Sie heute leben? Und ist das der Ort, an dem Sie arbeiten? Ist das der Ort, an dem Ihr Partner wohnt und arbeitet? Wahrscheinlich nicht. Orte spielen eine extrem wichtige Rolle heutzutage, in unserem Leben. Das "Abenteuer Identität" ist für uns auch das Abenteuer des Unterwegsseins in diesem Jahrhundert.
Es ist das Abenteuer des Lebens an mehreren Orten. Wir Deutschen definieren ja alles unheimlich gerne. Alles muss Namen haben. Das macht die Dinge so schön greifbar. Ich dachte als Erstes: Okay, es gibt irgendwie nicht wirklich einen Ausdruck dafür, was ich jetzt mache. Man könnte sagen: Ích lebe oder wohne im Zug. Ich verbringe da auch sehr viel Zeit, aber ich schlafe da nicht. Also hmm . . . Man könnte sagen, ich bin wohnungslos.
Das bin ich ja auch. Aber da denkt man an obdachlos. Und das bin ich nicht. Ich habe Leute überall in Deutschland, die mir Obdach geben. Das sind hauptsächlich diese Leute in diesen 5 Orten, aber auch Freunde in anderen Städten, bei denen ich einfach mal vorbeikomme und mir einfach mal die Stadt angucke. Ich versuche Deutschland auch als Reisende zu erleben. Diese Definition hat mich am Anfang ein bisschen verrückt gemacht. Ich wusste auch nicht wirklich, wie ich mich vorstellen soll. Dann neulich bin ich auf den Begriff gekommen, der mir gefehlt hatte: "Multi-Lokal" -- ein Leben an mehreren Orten.
Ich selber halte mein Projekt für sehr unspektakulär. Ich habe es angefangen, weil es zu mir und meinem Lebensstil passt. Mitte August sind die Medien auf mein Projekt aufmerksam geworden. Es gab Anfragen und Berichterstattungen von über 50 Ländern. Da waren die unterschiedlichsten Medien dabei, von der Washington Post über das japanische und australische Fernsehen bis hin, zuletzt, zur "Apotheken Umschau". Mich hat das sehr überrascht. Ich wurde davon regelrecht überrollt. Denn eigentlich treibe ich doch nur auf die Spitze, was wir sowieso alle machen.
Wie führen alle irgendwie ein multilokales Leben. Wir leben an mehreren Orten. Ich war, wie schon angekündigt wurde, 2012-13 auf Weltreise. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, scheinen wir ein Problem mit dem Thema Mobilität zu haben, mit dem Konzept der Mobilität, und zwar die im eignen Land, die in unserem Alltag integriert ist.
Als ich auf Weltreise war, war es völlig normal, das zu machen, was ich jetzt mache. Ich habe meinen Rucksack dabei, deswegen habe ich ihn mitgebracht. Da habe ich alles drin. Das ist das, womit ich jetzt aktuell in diesem Lebensabschnitt unterwegs bin. Da ist mein Laptop drin, meine Kopfhörer, ein paar Klamotten, Zahnbürste und Tagebuch. Als Fremder in Ausland ist es völlig normal, dass man keinen eigenen Wohnsitz hat.
Es ist völlig normal, dass man nur mit einem kleinen Rucksack oder vielleicht 'nem Koffer unterwegs ist; dass man per Couchsurfing, oder bei Familien und Freunden, oder in Gasthäusern und Hotels übernachtet. Als Fremder das in Deutschland zu tun, ist genauso normal. Ich mache das als deutsche Staatsbürgerin in Deutschland, und alle drehen durch. Und die "Apotheken Umschau" ruft dann. Ich finde das doch irgendwie reichlich komisch. Ich werde in den Medien abwechselnd "Reisende", "Nomadin" oder "Extrem-Pendlerin" genannt. Eben, oder?
Die ersten beide Begriffe sind vollkommen in Ordnung. Damit habe ich kein Problem. Aber Pendeln ist ein extrem negativ konnotiertes Wort. Denken Sie mal darüber nach. Das Erste, woran man denkt: Pendlerpauschale, die finanzielle Entschädigung dafür, dass man unterwegs ist. Wenn Sie auf Google suchen, zum Stichwort "pendeln", nach Zeitungsartikeln und Studien, werden Sie überrannt von Schlagzeilen, à la "Pendeln macht krank", "Pendeln kostet Zeit und Nerven", "Pendeln gefährdet Beziehungen". Es gibt verschiedenen Studien zu dem Thema, und je nachdem, ab welchem Abstand zwischen Wohn- und Arbeitsort man vom Pendeln spricht, pendeln bis zu 40 Millionen Deutsche. Das ist die Hälfte der Bevölkerung und mehr als die Hälfte der Erwachsenen. Und das sind nur die, die beruflich pendeln.
Es gibt andere Studien -- das interessiert die Politik normalerweise nicht -- in denen versucht zu berechnen wird, wie viele Leute eine Fernbeziehung führen. Das sind um 8 Millionen Leute. Wir sind also ständig alle irgendwie unterwegs. Die Leute reagieren sehr unterschiedlich auf mein Projekt. Manche fühlen sich sehr angesprochen und fühlen sich inspiriert, und andere denken irgendwie: Ich möchte sie damit jetzt angreifen. Ich möchte ihr Leben mit keinem Wohnsitz in Frage stellen. Darum geht's überhaupt nicht. Mich interessiert, dass wir eine harte Ambivalenz, eine sehr merkwürdige Ambivalenz in unserer Gesellschaft zu haben scheinen. Mobilität, Flexibilität, Verfügbarkeit -- das sind die Begriffe, die Sie überall hören. Das ist das, was von allen gefordert wird.
Aber wenn Sie dann unterwegs sind, in Deutschland, in Ihrem Alltag -- das ist für uns ein sub-optimales Zwischenstadium. Wir alle hören dann die Dinge wie, "Ach, du getraust dich doch nicht anzukommen." und "Du musst dich jetzt mal für einen Ort entscheiden." Ich verstehe nicht, warum wir es uns so kompliziert machen. Das ist eine merkwürdige Ambivalenz.
Und das ist ein Anspruch, dem wir nicht gerecht werden können, weil er uns vorgeworfen wird, sobald wir ihn erfüllen. Soviel zum Thema Handy. Der Begriff "pendeln" tut eigentlich allen Unrecht, die damit bezeichnet werden. Und das sind ja nicht nur Leute wie ich, die Dauerpendler sind. Wir pendeln alle irgendwie. Wir sind alle irgendwie Reisende. Und ich verstehe nicht, warum sich diese Ambivalenz so hartnäckig in unserem Leben hält. Uns allen ist klar, dass soziale Netzwerke wie Facebook uns auf digitale Art und Weise vernetzen.
Hier in der analogen Welt tun wir aber so, als wäre alles beim Alten. Wir tun so, als würden wir in unserer 300-Seelen-Gemeinde geboren werden, und dort aufwachsen, dort leben und dort sterben. Wenn Sie sich den Länderfinanzausgleich und Steuer- und Wahlrecht anschauen, stellen Sie fest, dass diese Systeme darauf ausgelegt sind, dass wir uns nie mehr als 30 Kilometer von unserem Geburtsort oder von dem Ort, an dem wir gemeldet sind, an dem wir offiziell wohnen, entfernen. Ein Kommentator auf Spiegel-Online hat mir vorgeworfen, was so vielen vorgeworfen wird, die viel unterwegs sind, egal ob privat oder beruflich, auf jeden Fall in Deutschland, da wo es die Gesellschaft mitbekommt. Mir wurde gesagt, ich hätte Bindungsangst.
Ich könnte mich nirgendwo richtig drauf einlassen, und hätte außerdem Angst, bei meinem Freund einzuziehen. Moment. Ich binde mich -- ich tue es nur an mehreren Orten. Ich bin in Tübingen immatrikuliert. Hier in Köln wohnt nicht nur mein Freund, sondern ich absolviere hier auch ein Praktikum bei einem Unternehmen, und in Bielefeld habe ich einen Job als Workshop-Leiterin an einer Schule. Ich binde mich, aber ich tue es eben an mehreren Orten. Wir Deutschen definieren ja alles so unheimlich gerne. Die Definition von "Heimat" im Duden lautet folgendermaßen: Zitat: "Land, Landesteil oder Ort, an dem man geboren und/oder aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt." Zitatende -- sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt.
Ich fühle mich im Zug zu Hause. Ich fühle mich bei meinem Freund zu Hause, bei meiner Mutter, bei meiner Oma, an meiner Uni, bei den Freunden in Tübingen. Ich fühle mich an mehreren Orten zu Hause. Für Heimat gibt es in Duden keinen Plural. In der Realität gibt es den doch längst, oder? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht, dass Sie alle Ihre Wohnung kündigen und sich die BahnCard 100 kaufen. Dann müsste ich ernsthaft mit der Deutschen Bahn über finanzielle Beteiligung reden, für all die Werbung, die ich für sie mache.
Apropos, weil das heute schon zweimal mit der Deutschen Bahn angesprochen wurde. Natürlich, da läuft viel falsch, aber es läuft auch viel gut. Ich möchte, dass Sie sich bewusst machen, dass es normal ist, ein Leben an mehreren Orten zu führen. Das gehört zu unserer Identität. Diese Orte gehören zu unserer Identität. Denken Sie nochmal kurz an die Orte, die zu Ihrem Leben gehören. Mit einem dieser Orte weniger wäre Ihr Leben nicht Ihr Leben, oder?
Sie wären nicht Sie. Jean Paul hat gesagt: "Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ist." Reisen tun wir sowieso schon alle. Wir sind alle irgendwie unterwegs. Wann wollen wir anfangen, auch währenddessen mal bewusst zu leben, und uns nicht immer nur dafür zu schämen, dass wir nirgendwo sind, und dass wir uns nicht trauen, irgendwo anzukommen? Danke schön.
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