德语助手
2025-09-02
Sonntagabend, 20.15 Uhr.
Ich bin in Frankreich, aber ich schaue deutsches Fernsehen.
Ein weit aufgerissenes Auge starrt mich an.
Es geht los.
Für die nächsten 90 Minuten bin ich nicht ansprechbar.
Auch mein französischer Freund weiß das.
Es ist Tatort-Zeit.
Tatort, das müssen wir erst mal unseren französischen Zuschauern erklären, ist die älteste Krimiserie des deutschsprachigen Fernsehens.
Es gibt sie seit 1970.
Und ich bin, wie Millionen von Deutschen, Tatort-Fan.
Denn Tatort ist Kult.
Was ihn so besonders macht?
Jeden Sonntag wird in einer anderen deutschen Stadt ermittelt.
Mal sind wir in Hamburg, mal in Weimar, dann in Ludwigshafen.
Dazu wird der lokale Dialekt gesprochen, typische Landschaften und Gepflogenheiten gezeigt.
Außerdem sind es je nach Handlungsort andere Personen, die auf Verbrecherjagd gehen.
Da ist die alleinerziehende Mutter, der notorisch schlecht gelaunte Hauptkommissar an der Seite eines selbstverliebten Rechtsmediziners oder ein Choleriker mit Alkoholproblem neben der frustrierten Karrierefrau und der deutsch-türkischen Nachwuchskommissarin.
Jeder Zuschauer hat seine Lieblingsermittler.
Ich mag die Berliner, weil ich als Berlinerin immer warten kann, wo die Szene gedreht wurde.
Der Tatort ist auch mein Fenster nach Deutschland.
Alles, was gerade in der Gesellschaft passiert, Flüchtlingskrise, Rechtsruck, Reichsbürger oder Clankriminalität, kommt ganz sicher bald auch im Tatort vor.
Aber pst, jetzt herrscht höchste Konzentration.
Bloß keinen wichtigen Hinweis auf den Täter verpassen.
Ich bin kurz davor, eine Nachricht an meine deutschen Freunde zu schicken, denn ich weiß, wer es war.
Wenn der Tatort läuft, vergesse ich für 90 Minuten, dass ich gar nicht mehr in Deutschland lebe.
Bei jedem Indiz, jeder Obduktion und jedem Verhör fühlt es sich nach zu Hause an.
Das Ritual begann zu Schulzeiten.
Als Kind wurde ich noch ins Bett geschickt, wenn es blutig wurde.
Durchs Schlüsselloch versuchte ich zu verstehen, was genau sich da abspielte.
Endlich dann der Tag, als ich mit meinen Eltern bis fast um 10 aufbleiben durfte und in das Tatort-Universum eintauchte, in die Welt der Erwachsenen.
Als Studenten machten wir den Sonntagskrimi zu einem Abend unter Freunden.
Manche schauten den Tatort in Kneipen und fieberten dort live bei der Tätersuche mit, wie sonst nur bei Fußballspielen.
Heute wird deutschlandweit in über 260 Kneipen Tatort geschaut.
Public Viewing für einen Fernsehkrimi.
Das ist weltweit einzigartig.
Genau wie wir wurden über die Jahre hinweg auch unsere Ermittlenden älter.
Manche verabschiedeten sich, neue kamen dazu.
Aber auf den Vor- und Abspann mit der markanten Musik konnte man sich verlassen.
Er ist seit 40 Jahren unverändert.
Und das sieht man ihm auch ein bisschen an.
Als 2012 die Idee aufkam, ihn zu modernisieren, ging ein Aufschrei durch Deutschland.
Als das Land noch geteilt war, hatten die Menschen im Osten auch ihren Tatort, der Polizeiruf 110 hieß, aber nach dem gleichen Prinzip funktionierte.
Den Poru gibt es noch.
Er läuft hin und wieder sonntags statt des Tatorts und spielt meist im Osten Deutschlands.
Im Krimi-Bereich hat man die Wiedervereinigung also noch nicht geschafft.
Aber egal wie er nun heißt, der immense Erfolg des Tatorts erklärt sich dadurch, dass heute jedes Bundesland seine Folge hat.
Das ist der wahre Föderalismus.
Auch montags morgens am Kaffeeautomaten ist der Tatort das wichtigste Gesprächsthema.
Ich fand ihn total spannend.
Mir war gleich klar, wer der Mörder ist.
Der Täter war total schlecht gespielt.
Wer nicht mitreden kann, steht abseits wie ein gehänseltes Schulkind auf dem Pausenhof.
Aber es gibt ja die nächste Gelegenheit.
Schon bald.
Am Sonntag.
Um 20.15 Uhr.
沙发还没有被抢走,赶紧过来坐会吧