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2024-05-27
Er gilt als "der Vater Europas", der "Kaiser aller Kaiser", auf den sich alle Nachfolger berufen.
Charlemagne, Carolus Magnus, Karl der Große.
Noch mehr als 1.200 Jahre nach seinem Tod, ist er als idealer Herrscher bekannt.
Aber was ist dran an dem Mythos?
Darum geht's jetzt.
Das Bild, das wir von Karl dem Großen haben, hat vor allem der Gelehrte Einhard geprägt.
Einhard schreibt im 9. Jahrhundert eine Biografie über seinen Herrn.
Dort präsentiert er Karl als Idealbild eines Herrschers.
Groß, aber nicht zu groß, eine stattliche Erscheinung, trotz kleinen Bauchansatzes, von guter Gesundheit, im Alter nur mit etwas Problemen im Fuß.
Jemand, der nicht trinkt, aber gerne isst.
Also maßvoll und nicht verbissen.
Ein Mann, der Latein und Griechisch lernt.
Sich nur mit dem Schreiben schwertut, weil er zu spät damit anfing.
Gottesfürchtig.
Zielstrebig, belesen und mit kulturellem Interesse.
Das klassische Ideal seit der Antike:
nichts allzu sehr, alles im richtigen Maß.
Nicht ganz perfekt, sodass er doch das perfekte Vorbild ist.
Karl handelt auch so.
Und weil er alles richtig macht, verehren ihn die anderen Menschen und die Mächtigen.
Einhard, der nicht nur einfacher Gelehrter, sondern wichtiger Berater Karls ist, schreibt über das Weihnachtsfest des Jahres 800 folgendes:
"Er kam also nach Rom."
"Damals erhielt er den Titel 'Kaiser und Augustus'."
"Das war ihm zuerst so zuwider, dass er versicherte, er hätte an jenem Tage,
obgleich es ein hohes Fest war, die Kirche nicht betreten,
wenn er zuvor um die Absicht des Papstes hätte wissen können."
Noch mal zum Mitschreiben:
Frankenkönig Karl ist in Rom.
Er geht an Weihnachten in die Kirche, um zu beten.
Da springt plötzlich der Papst hinter einer Säule hervor und drückt dem Mann die Kaiserkrone aufs Haupt.
Der arme Karl.
Er konnte sich überhaupt nicht wehren.
Aber er hat dann gezwungenermaßen den Job ganz ordentlich erledigt.
Wer es glaubt.
Einhard stellt Karl so dar, wie ein guter Christ sein muss: bescheiden.
Die Etikette verlangt, dass ein Herrscher sich ziert bei der Krönung.
Würd mich interessieren, heute wer von uns in so einer Situation eine solche Bescheidenheit an den Tag legen würde.
Wissenschaftler diskutieren, wie genau die Erhebung zum Kaiser abläuft und wer dabei welche Ziele verfolgt.
So oder so: damals wird vollzogen, was machtpolitisch schon Realität ist.
Karl, der im Jahr 747 oder 748 das Licht der Welt erblickt, ist seit dem Jahr 771 unumstrittener Herrscher des Frankenreichs.
Dieses Reich erstreckt sich von den Pyrenäen bis zu den östlichen Alpen und von der Elbe bis zum Tiber in Rom.
Karl hat sich gegen weitere Thronanwärter und gegen verschiedene regionale Herrscher wie den bayrischen Herzog Tassilo durchgesetzt.
König zu sein, das bedeutet, sich täglich in Konflikten durchzusetzen.
Vor allem natürlich im Krieg.
Ein König muss auf dem Schlachtfeld Erfolge vorweisen können.
Und das kann Karl, der sich oft auf dem Schlachtfeld beweist.
Er ist ein ausdauernder und brutaler Kriegsherr.
In den 46 Jahren seiner Herrschaft finden nur in zweien keine Feldzüge statt.
Damit ihr euch das vorstellen könnt, erzähl ich was.
Jeden Mai versammelt sich das Heer aus 600 Grafschaften, den Verwaltungseinheiten des Frankenreichs.
Da kommen insgesamt zwischen 30. und 60.000 Männer zusammen.
Karl versucht stets allein durch die schiere Größe seines Heeres im Vorteil zu sein.
Die Heere werden bestens ausgerüstet.
Als Karl gegen die Awaren zieht, das sind rund um das heutige Ungarn lebende übriggebliebene Hunnen, versammelt er das Heer in Regensburg.
Die Soldaten sind also da.
Nördlich von Regensburg in der Oberpfalz gibt es Erzvorräte.
Da werden für die damalige Zeit große Schmiedeanlagen errichtet, in denen Waffen hergestellt werden, die per Schiff nach Regensburg zu den Kriegern transportiert werden.
Stellt euch das so wie im zweiten Film der "Herr der Ringe"-Trilogie vor, wenn die Orks in den Schmieden schuften.
Und auch die Natur leidet ähnlich stark.
Um die Schmieden zu betreiben, das Erz zu schmelzen und so weiter, muss man Holzfeuer anschüren. Viel Holz.
Die haben in den Schmieden in der Oberpfalz so viel Wald gerodet, dass die Anlagen stillgelegt werden müssen, bis wieder Wald nachgewachsen ist.
Für diese Kriegszüge werden enorme logistische Aufwände betrieben.
So was muss man erst einmal organisieren.
Aber es lohnt sich, denn Karl hat eine allerbestens ausgerüstete Armee.
Er setzt seine gefürchteten Panzerreiter auch in Norditalien ein.
Dort erobert er das Langobardenreich.
Karl tut das, was er für notwendig hält und lässt die langobardische Führungsschicht auslöschen.
Noch härter führt er die Feldzüge gegen die Sachsen.
Die Leben in der Gegend zwischen Nordsee und Harz, Elbe und Rhein.
Und sie sind so ziemlich das Gegenstück zu den Franken.
Die Franken sind Christen.
Die Sachsen sind Heiden.
Sie verehren die nordischen Götter.
Die Franken sind in einem Riesenreich organisiert, die Sachsen leben in kleinen Verbänden und tun sich nur zum Kriegsführen zusammen.
Die Franken bieten Panzerreiter auf.
Die Sachsen Krieger mit Strohhüten.
Aber die Sachsen verfolgen eine Guerilla-Taktik mit der man auch viel stärkere Gegner ausbluten kann.
Karl führt von 772 bis 804, also mehr als 30 Jahre lang Krieg gegen die Sachsen.
Dabei setzen die Franken Massentötungen ein.
Terror. Sie brennen Dörfer und Felder nieder.
Sie verschleppen Frauen und Kinder in andere Gebiete, siedeln sie zwangsweise um.
Nicht umsonst bekommt Karl später den Beinamen "Sachsenschlächter".
Der König vergrößert das riesige Reich, das er erbt, durch seine Kriege noch einmal stark.
Aber in so einem Reich ist es nicht einfach, die Zügel in der Hand zu halten.
Karl reist von Pfalz zu Pfalz.
Pfalzen sind große landwirtschaftliche Güter mit repräsentativen Bauten, in denen König und Gefolge für die Zeit, wo sie in der Gegend sind, versorgt werden.
Ich sag es mal so ein bisschen salopp: kaiserliche Ressorts.
Am liebsten macht Karl in Aachen Station.
Da gibt es Thermalquellen, die das Leben angenehm machen.
Um aber die Kontrolle über sein Herrschaftsgebiet beizubehalten, ist Karl ständig unterwegs.
Man nennt das "Reisekönigtum".
Durch seine persönliche Anwesenheit erzwingt Karl Gehorsam.
Stellt euch das so vor: als erstes trifft eine Abordnung mit den Inhabern der wichtigsten Hofämter, also den höchsten Würdenträgern, ein.
Die reisen natürlich mit Gefolge.
Sie bereiten die Ankunft Karls und seines Hofstaats vor.
Schreiber, Prediger, Ritter, Soldaten, Barbiere, Ärzte, eine ganze Menge Frauen und Kinder.
Das Reisekönigtum ist ein gewaltiger logistischer Kraftakt.
Trotzdem ist Karl nur in zehn Prozent seines Reiches persönlich unterwegs.
Im Rest vertreten ihn seine Boten.
Diese Königsboten verlesen Vorschriften und Gesetze.
Die Bevölkerung wird von ihnen auch vereidigt.
Dieser Eid stärkt das Wir-Gefühl im Reich.
Durch die Boten spricht Karl zu seinen Untertanen.
Das ist wichtig, denn Karl hat den Anspruch, das Gemeinwesen, ja, das Leben seiner Untertanen, zu ordnen.
Sein Lieblingsbuch hat der Kirchenvater Augustinus geschrieben, und es trägt den Titel "Der Gottesstaat".
Kaiser Karl will das irdische Gottesreich verwirklichen.
Die Menschen sollen sich an biblische Gebote halten und an den christlichen Regeln orientieren.
Ihr hört sicher oft den Begriff "das christliche Abendland".
Na ja, das bedeutet eben nicht nur, dass in Europa ein paar Kirchen rumstehen und wir auf das Christkind warten, es bedeutet vielmehr,
dass die Gesellschaft nach christlichen Prinzipien geordnet und auch geregelt ist.
Deshalb missioniert Karl auch die Leute, die noch keine Christen sind.
Wie die eben erwähnten Sachsen.
Im Jahr 772 lässt er einen wichtigen germanischen Kultplatz zerlegen.
Die berühmte "Irminsul".
Das war wohl eine Säule oder so was in der Art, die an die Weltesche Yggdrasil erinnert, die in der nordischen Mythologie die Welt trägt.
Dieser Akt der Zerstörung beweist, wie brutal und rücksichtslos Karl seine Interessen durchsetzt.
Ja, Karl ist knallhart.
Er hat dazu sicher auch einen charakteristischen Zug, der keinen Widerspruch zulässt.
Und wer nicht hören will ... der muss fühlen.
Sein Gestaltungswille treibt das Reich an.
Karl baut Bistümer auf, beschenkt die Kirche.
Festigt das Zehntgebot, also, dass man zehn Prozent seines Einkommens an die Kirche abgibt.
Er fördert das klösterliche Leben.
Das tut er zum einen aus Überzeugung, zum anderen sind Karls Familie und die Kirche seit langem verbunden.
Man hilft sich gegenseitig.
Die Klöster übernehmen für Karl unter anderem die Aufgabe, die Bildungsoffensive im Reich umzusetzen.
Dort wird eine Bildungselite herangezogen.
Karl versammelt die bedeutendsten Gelehrten der Zeit an seinem Hof.
Die streiten sich, legen aber auch die Grundlagen für ein erneuertes Bildungswesen.
Sie lassen Bücher aus der Antike und Spätantike abschreiben und erhalten sie so für die Nachwelt.
Unter Karl nehmen Wissenschaft und Kunst einen Aufschwung, den man auch "karolingische Renaissance" nennt.
Die karolingische Minuskel setzt sich als einheitliche Schriftart durch.
Renaissance, was französisch ist für Wiedergeburt, wisst ihr, meint die kulturelle sprichwörtliche Wiedergeburt antiker Kultur.
So wie Karl das Leben und das Schreiben ordnen will, so ordnet er auch anderes.
Er erlässt sehr genaue detaillierte Verwaltungsvorschriften.
Bis hin zu Hygieneregeln bei der Weinproduktion.
Und zur sauberen und unparteiischen Amtsführung der Amtmänner.
In Wirklichkeit treten sehr viele Weinbauern nach wie vor den Saft mit dreckigen Füßen aus den Trauben.
In Wirklichkeit spielen Korruption und Bestechung nach wie vor eine große Rolle.
Aber Karl hat den Anspruch und beginnt dieses Werk.
Er richtet an den Grenzen sogenannte "Marken" ein.
Heute würde man sagen Verwaltungseinheiten oder Gebietskörperschaften, in denen Markgrafen Verantwortung für den Grenzschutz tragen.
Karl tut also vieles, was wir aus heutiger Sicht als positiv bewerten würden.
Die Brutalität, mit der er das manchmal macht, schreckt uns ab.
Früher gehört das zum Bild eines Herrschers dazu.
Karl ist ja ein erfolgreicher König und so wird er für die, die nach ihm kommen zu einer Projektionsfläche.
Wer sich mit Karl ideell verbinden kann, profitiert.
Setzen wir uns mal noch mit dem Mythos Karl der Große auseinander.
Schon kurz nach Karls Tod entstehen Geschichten über den ersten fränkischen Kaiser.
Anekdoten, die vielleicht noch einen wahren Kern in sich tragen und ganz frei erfundene Helden- und Rittergeschichten.
Na ja, wir haben einen anderen Anspruch an historische Werke, als es damals der Fall war.
Im Mittelalter spielt es keine Rolle, wenn sich Fakten und Erfundenes mischen, wobei man sagen muss, auch heute gibt es Leute, bei denen es so ist.
Die Wahrheit kann auch in Erfundenem stecken.
Deshalb dürfen wir die Schreiber von Karl-Legenden nicht verurteilen, aber wir dürfen ihnen eben auch nicht alles glauben.
Solche Geschichten, solche echten Mythen werden in einem Epos dargestellt.
In einer umfassenden Erzählung wie es die Geschichte vom Trojanischen Krieg ist.
Auch Karl bekommt sein Epos.
Noch zu Lebzeiten.
In diesem Epos wird Karl als Heerführer beschrieben mit goldenem Helm und glanzvoller Rüstung auf einem riesigen Pferd.
Da merkt man, wo Tolkien die Idee für seine Königsgestalten herhat.
Und in dem Epos steht auch schon die Bezeichnung Karls als "Vater Europas".
Wir Europäer, Bürgerinnen und Bürger in den vielen Staaten unseres Kontinents haben eine klare Vorstellung davon, was Europa ist.
Zu dieser Ideengeschichte Europas findet ihr ein Video auf dem I.
Klickt drauf, da geht es am Rande auch um Karl.
Damals, als Karl lebt, gibt es eine solche Vorstellung, eine Idee Europas natürlich noch nicht.
Wenn also ein Bauer den Kaiser vorbeireiten sieht, denkt der nicht:
"Ah, der Vater Europas reitet vorbei."
Damals war das höchstens eine Floskel für die wenigen Gebildeten und Gelehrten.
Karl selbst denkt nicht an Europa, sondern er will an das Römische Reich anknüpfen.
Aber der bedeutendste Preis mit dem heutzutage Menschen geehrt werden, die sich für Europa einsetzen, ist ... der Karlspreis.
Kaiser Friedrich I. Barbarossa versucht 300 Jahre später Karl den Großen heiligsprechen zu lassen.
Er versucht ja, die Gleichwertigkeit von Kaiser und Papst durchzusetzen, und ein heiliger Kaiser passt gut zu einem Heiligen Römischen Reich.
Viele Kirchenmänner stören sich aber daran, denn Karl war durchaus ein, ja, kann man sagen, Liebemann.
Vielweiberei.
Mit diesem Schlagwort arbeiten Karls Gegner.
Oder man muss genauer sein, die Gegner von denen, die sich auf Karl beziehen, um daraus politischen Erfolg zu schlagen.
Es gibt eine Geschichte, dass Karl einer Freundin so verfallen gewesen sein soll, dass er sich nach ihrem Tod sogar mit ihrem Leichnam ins Bett gelegt haben soll.
Nicht aus romantischer Absicht, sondern aus anderen Gründen.
Ihr seht, später machen die einen Karl zu einem Heiligen, die anderen zu einem Leichenschänder.
Die Deutschen bezeichnen Karl als "Stammvater ihres Reiches" und die Franzosen genauso.
Aber Karl ist weder Deutscher noch Franzose, sondern er ist Franke.
Bei den Nazis gibt es welche, die Karl hochheben und welche, die ihn nicht mögen, da er die germanischen Sachsen geschlachtet hat.
Im Zweifel aber bedient man sich seiner Person.
Eine Division der Waffen-SS in der viele französische Freiwillige kämpfen, trägt den Namen "Charlemagne".
Das spielt auf die Kriegszüge an, die Karl gegen die Slawen etwa in Böhmen geführt hat.
Und die Wehrmacht kämpft gegen die Slawen im Osten.
Ist das eine ein guter Krieg und das andere ein böser?
Ihr seht, es ist schwierig, mit einem Mythos umzugehen.
Am besten ist, man macht keinen Mythos aus einem Menschen, sondern man versucht ihm kritisch und objektiv zu begegnen, ihn zu beurteilen.
Das könnt ihr auch gerne machen.
Wie seht ihr den großen Karl?
Vorbild? Interessanter Mensch? Weiberheld?
Keine Ahnung, frommer Kirchenfreund?
Schreibt es unten in die Kommentare, bin sehr gespannt, was ihr denkt.
Neben mir findet ihr das Video zur Ideengeschichte Europas wie vorher angekündigt.
Direkt darunter etwas von den Kollegen von Funk, schaut da mal rein.
[00:14:29179]Danke euch fürs Zuschauen.
Bis nächstes Mal.
沙发还没有被抢走,赶紧过来坐会吧